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Das bewegte Leben der Künstlerin Verena de Nève

27. August 2024
Ihr Leben stellte sie in den Dienst der Kunst. In ihre Farben mischte sie immer einen Hauch von Spiritualität. Die mit 93 Jahren in Italien verstorbene Kunstschaffende Verena de Nève war auch in Stans eine prägende Figur.

Von Delf Bucher

«In memoria Anna Verena di Nève» steht auf den Aushängen von Massa Marittima. Zur Totenmesse für die Künstlerin am 6. April haben sich im Hauptschiff der Basilika mehr als 100 Menschen eingefunden. Was zeigt: Die Künstlerin, die sich Ende der 1980er-Jahre von Stans aus aufs Geratewohl nach Italien aufmachte, ist in der Fremde heimisch geworden. Verena de Nève hat künstlerische Akzente im mittelalterlichen Städtchen gesetzt mit ihrem Zaubergarten «Paradiesli» voll von selbst geschaffenen Skulpturen. Ihre Gemälde-Ausstellung vor einigen Jahren im Stadthaus von Massa Marittima zeigte ihre nie versiegende Produktivität selbst im hohen Alter. Mit kreativen Aktionen zog sie Kinder wie Erwachsene in den Bann.

Kunst und Religion

Ihre Kunst stellte auch der Pfarrer ins Zentrum seiner Predigt. Seine wuchtige Stimme widerhallte im Gewölbe der frühgotischen Kathedrale. Immer stärker befeuerte ihn das Pathos seiner Predigt. Mit Arm- und Handgesten unterstrich er seine Worte wie Spiritualität, Kunst, Aristoteles. Es brauchte keine Italienischkenntnisse, um die Botschaft zu verstehen: Verenas Schaffen zeige, wie Kunst und Glaube unmittelbar verknüpft seien.

de Nève
Verena de Nève.

Das Religiöse prägte ihre Künstlerbiografie. Schon der Übertritt vom reformierten Glauben zum katholischen war ein Statement der jungen Frau aus dem Baselland. Ihren ersten Erfolg feierte die an den Kunstakademien Basel und Düsseldorf ausgebildete Künstlerin mit ihrem monumentalen Glasbild in der Bruder-Klausen- Kirche von Liestal 1961.

Bruder Klaus – da scheint die spezielle Beziehung zur Innerschweiz auf. 1963 zog sie mit ihrem Ehemann José de Nève ins Heimeli in Oberdorf, scharf an der Dorfgrenze zu Stans. Kennengelernt haben sich die beiden durch Vermittlung des Künstlerpaters Karl Stadler vom Kloster Engelberg, wie die Töchter Dorothée und Salome berichten. Oft betete und sang sie mit, wenn die Schwestern von St. Klara ihre frühmorgendliche Laudes hielten. Im Institut St. Klara selbst arbeitete sie bis zur Auflösung der Mädchenschule 1988 als Zeichenlehrerin.

«Unglaublich produktiv»

«Ich war eine ihrer ersten Schülerinnen», sagt Brigitt Flüeler. Die Historikerin bedauert, dass Verena de Nève als «unglaublich produktive Künstlerin» heute in Stans fast vergessen ist. Indes hängt in manchem Haushalt noch ein Bild von ihr, erworben bei einer der vielen Ausstellungen im Chäslager oder im Kapuzinerkloster. Ihre grossen Keramikarbeiten sind dagegen verschwunden. Am Brunnen auf dem Stanser Friedhof wie auch an den von ihr gestalteten Urnengräbern nagte der Zahn der Zeit. Der Abriss vor einigen Jahren schmerzte sie. Aber es gibt noch Spuren, wie Brigitt Flüeler weiss: «Der Entwurf für die Glasbilder in der Abdankungshalle stammt von ihr.» Heute würden viele dieses Werk ihrem Ex-Mann José de Nève zuschreiben. «Das ist vielleicht das Verhängnis dieses Künstlerehepaars: Man weiss oft nicht mehr, welches Werk von Verena oder von José ist.»

«Immer ist sie auf Menschen zugegangen», sagt Bildhauer Rochus Lussi. Er selbst hat als junger Erwachsener viermal Kurse bei ihr besucht – im ehemaligen Zeichensaal des Klosters St.Klara. So gruppierten sich rund zehn Interessierte um ein Modell und fertigten Schnellskizzen an. Verena streifte durch die Schülerschar, gab Tipps und Hinweise. Später besuchte er Verenas Sommerkurse am Lago di Bolsena.

Neustart in Italien

«Für mich war es inspirierend, Verena als freie Künstlerin zu erleben», erinnert sich Lussi zurück. Einmal habe sie in einer Lektion erzählt, wie sie finanziell in die Bredouille geraten sei und die Heizölrechnung nicht bezahlen könne. In der nächsten Kursstunde das Happy End: Dank eines Bilderverkaufs hätten sich die Geldsorgen in Luft aufgelöst. «Dieses Vertrauen, sich ganz der Kunst mit allergrösster Risikobereitschaft zu verschreiben, das war für mich, der aus einer traditionell-bäuerlichen Familie stammt, etwas Neues», so Lussi. Wagemut zeigte sie auch seiner Ansicht nach mit ihrem Neustart in Italien nach einer existenziellen Ehekrise: «Das ist für sie eine Erlösung gewesen.»

Auf der anderen Seite wollte Verena Kunst nicht als schnöden Broterwerb sehen. Kunst war für sie eine persönliche Mission. Ihre kreativen Ideen wollte sie in verschiedenen Materialien wie Glas, Eisen, Keramik, in Aquarell oder Ölmalerei ausdrücken. Der Luzerner Arzt Alois Birbaumer, der lange ein kleines Gut in Massa Marittima bewirtschaftete und sich oft mit Verena austauschte, sagt denn auch: «Es fiel ihr schwer, sich von ihrer Kunst zu trennen.»

Keineswegs vergessen

Aber zurück zur Abdankung. «Staub zu Staub», hiess es nach der Messe auf einer kleinen Anhöhe vor dem Städtchen. Tochter Salome verstreute die Asche. Zuvor hatte der Musiker Richard Blatter zum Abschied das Nidwaldner Tanzliedli angestimmt. Mit «El Ritschi» und seiner Mutter war noch eine ganze Schar von Innerschweizerinnen und Nidwaldnern angereist. Ganz vergessen ist die grosse Künstlerin in ihrer alten Heimat keineswegs.