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Stans ist seit 175 Jahren eine Politische Gemeinde
Von Peter Steiner
Die 1840er-Jahre des 19. Jahrhunderts waren von schweren Turbulenzen bis hin zum Sonderbundskrieg im Jahre 1847 geprägt. In dem brachial geführten Streit um Weltanschauungen obsiegten die reformiert-liberalen Kantone gegen die katholisch-konservativen Stände in der Innerschweiz, mit auf der Verliererseite: Nidwalden. Der Widerstreit mündete 1848 in die Gründung des Bundesstaates und in eine für alle Kantone geltende erste Eidgenössische Bundesverfassung; dass Nidwalden sie mehrheitlich ablehnte, änderte nichts an der Verpflichtung, die neuen Grundfreiheiten auch hier umzusetzen.
Freie Niederlassung und Teilhabe
Dazu zählte das freie Niederlassungsrecht für alle Schweizer «christlicher Konfession», verbunden mit dem Genuss «aller Rechte der Bürger des Kantons» (Art. 41 BV 1848). Da davon die Mitbestimmung über Mitanteile an Gemeinde- und Korporationsgütern ausgenommen war, anerbot sich auf kommunaler Ebene keine althergebrachte Organisation, um die kantonsfremden Miteidgenossen, aber auch die Kantonsbürger anderer Gemeinden ins kommunale Gemeinwesen als Stimmberechtigte aufzunehmen. So behalf sich die «Verfassung des Kantons Unterwalden nid dem Wald», erlassen von der Landsgemeinde vom 1. April 1850, mit der Einführung einer neuen Gemeindeart, indem sie die (damals) sechs Pfarreigemeinden «für die Verwaltung der Gemeindsangelegenheiten» in elf Bezirke «zerfallen» liess, darunter eben «Stanz mit Kniri, Mättenweg und Niederdorf». Es war dies das Gebiet, das der alten «Korporation der Dorfleute» am nächsten kam, die bis dahin auch das Wahlrecht für die Abordnung in den Landrat (kantonales Parlament) innehatte.
Gebändigtes Stans
Die Umschreibung des Gemeindegebietes verfolgte unter anderem das Ziel, das als «Hauptort» mit Sitz der Kantonsbehörden bestimmte Stans – damals wirklich mit «z» geschrieben – nicht zu gross werden zu lassen: Die Pfarrgemeinde reichte von Stansstad über Ennetmoos bis nach Oberdorf, Büren und Dallenwil, die Genossenkorporation ihrerseits immerhin stanserhornseitig der Engelberger Aa entlang bis zur Grenze von Dallenwil – wie heute noch. Weil nach der Niederlage im 1847er-Krieg auch hier sich liberal gesinnte Kräfte vermehrt zu Wort meldeten, entstand ein eigentliches Gerangel um die Zuständigkeit der Wahlen in den Verfassungsrat und dann in den Landrat. Im Ergebnis wurden die Wahlen schliesslich der Landsgemeinde zugewiesen, was die Liberalen um den Verlust ihres eh schon schmalen Einflusses fürchten liess. Trost fanden sie immerhin in der Abspaltung des bäuerlichen Oberdorf, das eine eigene Bezirksgemeinde und entgegen der natürlichen Geografie mit den Gebieten der Ürten Waltersberg und Büren nid dem Bach verbunden wurde. Stans, in der Tendenz jetzt aufmüpfig, war in die Schranken gewiesen.
Rat voll im Griff
Nach der Annahme der Kantonsverfassung setzte der Landrat die neuen Bezirksgemeinden unter Druck, sich baldmöglichst zu konstituieren. Unter dem Vorsitz des «erstgewählten (Land-) Ratsmitglieds» versammelten sich die Stimmberechtigten der neuen Gemeinde erstmals am 9. Mai 1850 im Stanser Rathaus zur Wahl des auf elf Mitglieder festgesetzten Gemeinderates. Sechs der erwählten Räte waren amtierende Mitglieder kantonaler Behörden, die meisten sassen im zentralen Ortsteil Stans (5), je zwei in der Kniri, im Mättenweg und im Niederdorf. Erster Gemeindepräsident wurde Polizeidirektor Karl Jann einer der «massgebenden konservativen Politiker in Nidwalden». Überhaupt: Die Mehrheit des Rates war betont dem Alten zugetan, was sie aber nicht davor bewahrte, die der Bezirksgemeinde neu zugeteilten Aufgaben mit mehr oder weniger Lust zu erfüllen.
Kompetenzstreitigkeiten
Neben dem Vollzug aller «von höherer Behörde übertragenen Weisungen» hatte der Gemeinderat über die «öffentliche Sicherheit und Sittlichkeit» zu wachen, die Wirtshäuser zu beaufsichtigen, für «benötigte Löschanstalten» zu sorgen, die militärischen Einquartierungen zu organisieren, fremde Frauen und Witwen waisenamtlich und auch die «Gemeindsgüter» zu verwalten – wenn es denn solche gegeben hätte! Diesbezüglich blieb die neue Gemeinde ohne Ausstattung – das Vermögen in Form von Allmend und Wald verblieb der Genossenkorporation. Gleich an der ersten Sitzung nahm der Rat deshalb die Bildung eines Gemeindefonds in Aussicht und beschloss, mit der jetzt an sich um ihre Aufgaben gebrachten Dorfkorporation in Verhandlung zu treten, um deren Vermögen zu erben. Diese zeigte der jungen Konkurrenz allerdings die kalte Schulter, immerhin habe sie nach wie vor einen Teil des Dorfplatzes zu unterhalten. Die Tätigkeit der Dorfkorporation verlor sich indes schnell und nach dem Ableben des letzten Dorfvogtes im Jahre 1864 gelang endlich ihre förmliche Auflösung und der Vermögenstransfer an die Bezirksgemeinde. Auch mit der Genossenkorporation kam es anfänglich zu Konflikten, die recht harsch ausgetragen wurden: Beide beanspruchten die Aufsicht über die öffentlichen Plätze, Brücken und Bäche, bis der Landrat am 9. März 1853 die Kompetenz entschieden dem Gemeinderat zuwies.
Aufsicht über die Schule
Die Verfassung von 1850 schuf erstmals auch eine Schulpflicht für die Kinder. Da der bis dahin freiwillige Unterricht vollständig in den Händen der Pfarreien lag, erwies sich hier die Integration in die neue Gemeinde als besonders knifflig: Schulort für Oberdörfler war die Pfarrei Stans. Mit der Zuweisung der Wahl der weltlichen Lehrer und auch deren Besoldung an die Bezirksgemeinde ging Stans pragmatisch um: Zu diesbezüglichen Geschäften – und nur zu diesen – waren auch die Stimmberechtigten Oberdorfs zugelassen. Diese «Schulkreisgemeinde Stans», die von 1850 an von einem fünfköpfigen Schulrat angeführt wurde, ging 1877 förmlich in die selbstständige Schulgemeinde Stans-Oberdorf über.
«Aschenbrödel»
Die neue Gemeinde startete quasi mittellos. Die nach einem Jahr erstattete Rechnung wies Auslagen in der Höhe von 35 und Einnahmen von 69 Gulden aus (1 Gulden zu ca. Fr. 1.90). Mehr als zehn Prozent der Ausgaben wurden für die Anschaffung eines Gemeindesiegels und weitere 5 Gulden für die eines Protokollbuches verwendet. 16 Gulden kosteten die «Feuervisitationen» und 1 Gl. 32 Schilling ein «Extra-Trunk der Spritzenmannschaft bei der Brunst auf den Schinhalten». Die Einnahmenseite wies gerade mal drei Posten aus: eine «Gratification wegen guter Feueraufsicht» (26 Gl.), Niederlassungsgebühren Zugezogener (3 Gl.) und die Abgabe der Wirte für ihren Weinausschank (40 Gl.).
Ein Jahr später zeigte die jetzt in Franken geführte Rechnung Einnahmen von Fr. 630.68 und Ausgaben von Fr. 571.96. Regelmässige Steuern wurden noch nicht erhoben, so dass die Bezirksgemeinde in der Einschätzung des ehemaligen Landschreibers Franz Odermatt neben der «ältern, reichern Schwester» – gemeint ist die Genossenkorporation – das Leben eines «Aschenbrödels» fristete.